Entscheidungsverfahren und Verteilungseffekte

Entscheidungsverfahren und Verteilungseffekte. Die Allokation von Gesundheitsleistungen in den OECD-Ländern

 

  • gefördert von der VolkswagenStiftung im Rahmen eines Schumpeter-Fellowships
  • Laufzeit 2008-2014
  • Projektleiterin: Univ.-Prof. Dr. Claudia Landwehr
  • Projektmitarbeiter: Katharina Böhm (2009-2014), Matthis Mohs (2013), Dorothea Klinnert (2014)

 

Welche medizinischen Leistungen soll ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem bereit stellen? Wie sind Gesundheitsausgaben fair und sinnvoll zu begrenzen? Wer kann und darf komplexe Entscheidungen über den Zuschnitt von Leistungskatalogen in der medizinischen Versorgung treffen? Diese Fragen stellen entwickelte Demokratien vor große Herausforderungen. Fast alle OECD-Länder haben in den vergangenen Jahren damit begonnen, Leistungskataloge explizit einzugrenzen oder zumindest ihre Expansion zu verhindern. Diese Form der Rationierung von Gesundheitsleistungen setzt eine vergleichende Bewertung und Priorisierung unterschiedlicher Leistungen voraus, die eine Verständigung über Prinzipien und Kriterien einer gerechten Verteilung erfordert.

Priorisierung und Rationierung medizinischer Leistungen

Bei der Priorisierung und Rationierung medizinischer Leistungen handelt es sich um sehr komplexe Entscheidungsprozesse, die erhebliche Fachkenntnis verlangen, und die nicht nur aufgrund der Anzahl der zu treffenden Entscheidungen mit erheblichem Aufwand verbunden sind. Da die mehrheitsdemokratischen Institutionen des Parlaments und der Regierung mit der Anzahl und Komplexität der erforderlichen Entscheidungen überfordert zu sein scheinen, haben sie neue Entscheidungsverfahren geschaffen und die vergleichende Bewertung medizinischer Leistungen in vielen Fällen an mehr oder weniger unabhängige Gremien delegiert. Die These unseres Forschungsprojektes lautet, dass das institutionelle Design dieser Gremien – ihre konkrete Ausgestaltung in Hinblick auf Mitglieder, Kompetenzen, Entscheidungsregeln, Öffentlichkeit und weitere Merkmale – die resultierenden Finanzierungs- und damit Verteilungsentscheidungen mitbestimmt: Verfahren sind niemals vollständig neutral, sie verkörpern stets bestimmte Gerechtigkeitsvorstellungen und befördern bestimmte Interessen mehr als andere.

 Quantitative und qualitative Analyse

Der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Verfahrens- bzw. Gremienmerkmalen, der Anwendung von Gerechtigkeits- und Verteilungsprinzipien und resultierenden Verteilungsentscheidungen geht das Projekt mit einer quantitativen und einer qualitativen Analyse nach. Im Rahmen der quantitativen Analyse von Daten aller OECD-Länder erfolgt ein Hypothesentest, der durch eine Kausalitätsanalyse in der qualitativen Untersuchung von mindestens vier Ländern ergänzt wird. Abgeschlossen wird das Projekt durch die Organisation einer Bürgerkonferenz zur Prioritätensetzung in der Gesundheitsversorgung. Hierdurch lässt sich unter anderem die These überprüfen, dass partizipative und deliberative Verfahren zu grundlegend anderen Verteilungsergebnissen führen.

Wichtige Information für die politische Gestaltung der Verfahrensauswahl

Mit der Erkundung der Zusammenhänge zwischen Entscheidungsverfahren und Verteilungseffekten soll das Projekt Institutionen- und Steuerungstheorien weiterentwickeln und zugleich einen Beitrag zur empirischen Demokratie- und Gerechtigkeitsforschung leisten. Darüber hinaus können die gewonnen Erkenntnisse wichtige Information für die politische Gestaltung der Verfahrensauswahl liefern: Wenn eine Gesellschaft bestimmte Verteilungsergebnisse erzielen will, muss sie wissen, welche Entscheidungsverfahren diese befördern.